Walter Pichl
(1912-1982)
 
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Linguist, Afrikanist, * 22.10. 1912 in Wien, † 30.8. 1982 in Wien

Walter Pichl wurde am 22. Oktober 1912 in Wien geboren, wo er auch Volks- und Realschule absolvierte. Der Besuch der Orientalischen Akademie in Wien (1934—35) — er bestand die Abschlussprüfung im Fach "Chinesisch für Fortgeschrittene" mit "Sehr gut" — und von Vorlesungen für Aztekisch und Mittelamerikanische Altertumskunde bei Professor Röck am Museum für Völkerkunde bezeugt sein großes Interesse an unterschiedlichen Sprachen und Kulturen.

Seine Arbeitslaufbahn begann jedoch als Postangestellter.

1940 wurde er zum Wehrdienst einberufen. Er musste in einem deutschen Kriegsgefangenenlager in Poitiers in Frankreich, in dem hauptsächlich afrikanische Soldaten inhaftiert waren, als Dolmetscher arbeiten, allerdings für Sprachen, deren er nicht mächtig war. Er begann Wortlisten und Textproben der beiden westafrikanischen Sprachen Baule und Koyroboro aufzunehmen, widmete sich aber bald den Wolof, da sie die zahlenmäßig größte Gruppe im Gefangenenlager darstellten. Schon bald bemerkte er, dass die Sprache Wolof ihm bisher unbekannten Regeln der Grammatik folgte. Folgende Anekdote aus einem unveröffentlichten Artikel von Pichl über "Sprachforschungen in West-Afrika" sei erwähnt: "Wenn mir z.B. ein Wolof erklärte, "Das ist die Vergangenheit von ‚Hyäne‘ — buki b_", so war meine erste Reaktion, das ist ein Blödsinn, ein Hauptwort hat keine Zeit. Erst nach langem fand ich heraus, daß er Recht hatte. Ort und Zeit sind, zumindest hier, identisch; buki bi war ‚die Hyäne hier oder jetzt‘, buki b_ — ‚die Hyäne da, oder einmal‘ und buki bu — ‚die Hyäne dort‘, oder vor (nach) langer Zeit‘. Später fand ich das bei anderen Sprachen dieser Familie bestätigt." Unter den Gefangenen befand sich auch der spätere Präsident des Senegal Léopold Sédar Senghor (1960—1980), mit dem Pichl eine lebenslange Freundschaft verbinden sollte. Von Poitiers wurde Pichl nach Russland versetzt, wo er sich ebenso in einem Gefangenenlager mit dem Kalmückischen und dem Usbekischen auseinandersetzte.

Nach kurzer Zeit wurde er als Dolmetscher für Chinesisch nach Wien zurückberufen, dann aber wieder an die Westfront gesandt. Aus ungeklärten Gründen geriet er Ende 1944 in deutsche Gefangenschaft, konnte aber noch vor Kriegsende flüchten.

Er arbeitete anschließend ein Jahr lang als wissenschaftliche Hilfskraft am Museum für Völkerkunde in Wien und studierte nebenbei Afrikanistik an der Universität Wien.

1946 wurde er kurz vor seinem Studienabschluss von den Sowjets verhaftet und war bis Juli 1955 in Workuta und Sibirien inhaftiert.

Nach Wien zurückgekehrt setzte er sein Studium fort und promovierte 1957 mit einer Dissertation über Die Sprache der Wolof in Senegambien, von der er später selbst sagte: "Sie war, wie ich jetzt weiß, weit entfernt davon, gut zu sein, doch merkte das damals niemand."

1958 hielt er Gastvorlesungen über das Limba an der School of Oriental and African Studies (SOAS) in London und bekam daraufhin durch die Vermittlung von Professor Archibald Tucker ein Stipendium der Ford Foundation für Feldstudien des Serer im Senegal und in Gambia, das nach sechs Monaten in ein einjähriges Forschungsstipendium umgewandelt wurde. Auf Einladung Senghors begann er 1960 die Erforschung des Safen.

1961 ging er als Dolmetscher des österreichischen UNO-Sanitätskontingents nach Kisangani in der heutigen Demokratischen Republik Kongo.

Im Oktober des gleichen Jahres wurde er als Senior Lecturer für zwei Jahre an die Fourah Bay University in Freetown (Sierra Leone) berufen, wo er jedoch nicht viel Arbeit hatte, wie er in einem sehr persönlichen Lebenslauf vom Dezember 1979 festhielt: "Obwohl ich als Fachgebiet Afrikanistik hatte, interessierte sich kein Mensch dafür und ich hatte sehr viel Zeit, im Busch zu wohnen und Sherbro- und Krim-Aufnahmen zu machen. Erst 1963, als nach der Unabhängigkeitserklärung fast alle weißen Lehrer fortliefen, mußte ich notgedrungen einige Vorlesungen über Französisch und Russisch übernehmen." Aus dieser Beschäftigung gingen ein Sherbro-Wörterbuch und eine erste Darstellung des Krim hervor.

Ende 1963 begab er sich erneut zu den Safen im Senegal.

Von 1965 bis 1970 war Pichl mit kurzen Unterbrechungen Professor an der Duquesne University in Pittsburgh (USA), wo er Vorlesungen über die Klassifikation der Sprachen Afrikas, über Wolof und Serer sowie über die voreuropäischen Kulturen und die Geschichte Afrikas hielt.

Neben seiner Unterrichtstätigkeit arbeitete er weiterhin an den damals als "Serer-Non" bezeichneten Sprachen des Senegal und forschte während eines Freisemesters über das Ndut. 1973 wurde er mit dem Orden Pour le mérite des Senegal ausgezeichnet und von Präsident Senghor eingeladen, für längere Zeit in den Senegal zu kommen.

Aus einem Empfehlungsschreiben Senghors vom 16. Februar 1974 lässt sich seine Hochschätzung für Walter Pichl ersehen: "Ich empfehle in ganz besonderer Weise den zivilen und militärischen Autoritäten (Minister, Gouverneure, Präfekten, Direktoren und Vorgesetzte des öffentlichen Dienstes usw.) den Professor Walter Pichl des I.F.A.N. Professor Pichl ist gegenwärtig der größte Spezialist für die Sprachen Serer, Non, Ndut und Safen." Bis Juli 1977 wirkte Pichl an der Universität Dakar als Professor ohne Lehrverpflichtung und setzte die Erforschung der "Cangin"-Sprachen bei den Lehar und Palor fort. Pichl selbst hatte diesen Sprachen, die zuvor "Serer-Non" genannt worden waren, den Namen "Cangin" gegeben, was in den einzelnen Sprachen "Markt" bedeutet und zur lokalen Bezeichnung für die senegalesische Stadt Thiès geworden ist. In dem bereits erwähnten Artikel über "Sprachforschungen in West-Afrika" schrieb er: "Da alle diese Sprachen rund um Thiès liegen, gab ich ihnen diesen Namen, um sie von den früher gebrauchten, irreführenden Bezeichnungen "Serer-Non, Serer-Ndut" zu unterscheiden und besonders, um zu sagen, daß sie nichts mit dem Serer zu tun haben."

1979 holte Hans Mukarovsky Walter Pichl schließlich als Honorarprofessor an das Institut für Afrikanistik in Wien. In einem dementsprechenden Antrag schrieb er am 7. Dezember 1979 an das Fakultätskollegium der Geisteswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien: "Das Institut für Afrikanistik würde mit Walter Pichl, der als Privatmann in Wien lebt, einen durch seine von wenigen geteilten Sprachkenntnisse westafrikanischer Sprachen und Länder ausgezeichneten Vortragenden gewinnen." Dem Antrag wurde stattgegeben (vgl. Archiv der Universität Wien: Personalbogen Walter Pichl).

Am 30. August 1982 verstarb Walter Pichl unerwartet in Wien.

BIBLIOGRAFIE

Mukarovsky, Hans (1984): In memoriam Walter Pichl 1912—1982. In: Afrika und Übersee 67: 7—8

Pichl, Walter: siehe Quellen- und Werkeverzeichnis

QUELLEN

Archiv der Universität Wien: Unterlagen zu seiner Lehr- und Forschungstätigkeit (u.a. die Ernennung von W. Pichl zum Honorarprofessor, Einstellung am Institut für Afrikanistik, Brief von Léopold Sédar Senghor)

Fachbereichsbibliothek für Afrikawissenschaften und Orientalistik der Universität Wien: a) Nachlass an unveröffentlichten Manuskripten mit Pichls Sprachaufzeichnungen; b) zum Teil auch noch mit "Ex libris Walter Pichl" bezeichnete Bestände aus seiner Privatbibliothek, die teilweise, zuletzt 2009, wegen ihres nicht-Afrikabezogenen Inhalts auf andere Bibliotheken aufgeteilt wurden

Phonogrammarchiv der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Wien: a) Tonbänder seiner Sprachaufnahmen in Afrika mit den entsprechenden Protokollen; b) Materialien "Walter Pichl" (z.B. eigenhändiger Lebenslauf); c) eine Reihe von Schellackplatten mit Sprachaufnahmen religiösen Inhalts von verschiedenen Urhebern und in diversen Sprachen (nicht nur afrikanischen) aus der Serie "Gospel-Recordings" (Los Angeles), die Pichl dem Phonogrammarchiv spendete

WERKEVERZEICHNIS WALTER PICHL

Pichl, Walter (1961a): Ein Wolof-Gedicht und Wolof-Lieder. In: Afrika und Übersee 45: 271—286

Pichl, Walter (1961b/1962a): Wolof-Erzählungen 1—3. In: Afrika und Übersee 44—45

Pichl, Walter (1962b): Verschiedene Wolof-Texte. In: Afrika und Übersee 45: 204—218

Pichl, Walter (1962c): Wolof-Sprichwörter und Wolof-Rätsel. In: Afrika und Übersee 46: 93—110

Pichl, Walter (1963a): Extrait des langues Senegalo-Guinéennes. Dakar. Université de Dakar, Westafrican Survey 1963. In: Actes du second colloque international de linguistique négro-africaine. Dakar, 12—16 avril 1962: 271—273

Pichl, Walter (1963b): La Permutation et l’Accord en Sérèr. In: Actes du second colloque international de linguistique négro-africaine. Dakar

Pichl, Walter (1963c): Langues Senegalo-Guinéennes: Sérèr. In: Actes du second colloque international de linguistique négro-africaine. Dakar

Pichl, Walter (1964a): Comparative Notes on Sherbro and Krim. In: Sierra Leone Language Review

Pichl, Walter (1964b): Sherbro-English Dictionary. 2 Bde. Freetown: Fourah Bay College

Pichl, Walter (1965): Einiges aus der Geschichte der Bullom (eine ethno-linguistische Betrachtung). In: Mitteilungen der Anthropologischen Gesellschaft in Wien: 22—26

Pichl, Walter (1966a): L’Écriture bassa au Liberia. In : Bulletin de l´IFAN 28/B/1—2 : 481—484

Pichl, Walter (1966b): The Cangin Group in Northern Senegal. Pittsburgh: Duquesne University Press

Pichl, Walter (1970—74): The Serer Language. (3 Volumes: Phonetics and Morphology. Texts. Dictionary). Pittsburgh: Duquesne University Press

Pichl, Walter (1972a): A Wolof Reader. Grammar notes, texts and vocabulary. Pittsburgh: Duquesne University Press

Pichl, Walter (1972b): The Krim Language in Sierra Leone (Grammar texts and vocabulary). Pittsburgh: Duquesne University Press

Pichl, Walter (1973a): Falor et Ndut. Les langues de la groupe Cangin. Pittsburgh: Duquesne University Press

Pichl, Walter (1973b): Steinsetzungen in Westafrika. In: Almogaren 4: 151—157

Pichl, Walter (1976): Quatre anciennes coutumes des Safén (Senegal). In: Notes africaines 149: 11—14

UNVERÖFFENTLICHTE WERKE

Hinweis: 2009 konnten mit Erlaubnis der Leitung der Universitätsbibliothek Wien und mit finanzieller Unterstützung der Österreichischen Nationalbank (Projekt 13292) u.a. Walter Pichls unveröffentlicht gebliebenen Werke digitalisiert und Anfang 2010 auf der Projekthomepage "Die Entwicklung der Afrikanistik in Österreich" unter der Rubrik "Publikationen und Materialien" im Internet verfügbar gemacht werden: http://www.afrikanistik.at/pubmat.htm. Die Originale befinden sich in der Fachbereichsbibliothek für Afrikawissenschaften und Orientalistik der Universität Wien:

Pichl, Walter (o. J.): Die Sprache der Wolof, Bd. 2. Texte. o. O.

Pichl, Walter (o. J.): Kru-English Vocabulary. Wien

Pichl, Walter (o. J.): Materialien zur Sérèrsprache (Sérèr-Sin oder Kegöm). o. O.

Pichl, Walter (o. J.): Noun classes and accordance in Limba. o. O.

Pichl, Walter (o. J.): Sprachforschungen in West-Afrika. o. O.

Pichl, Walter (o. J.): Vocabulaire Koba-baga. o. O.

Pichl, Walter (o. J.): Vorläufige Wörterliste des Kisi von Sierra Leone und Liberia. Wien

Pichl, Walter (1957): Die Sprache der Wolof in Senegambien. phil. Diss. an der Univ. Wien

Pichl, Walter (1962): Sherbro Texts with translations, annotations and vocabulary. Wien

Pichl, Walter (1977): Textes Ndout. Bd. 2. Wien und Dakar

Pichl, Walter (1979): Abrégé de grammaire Ndout, Bd. 1. Wien & Dakar

Pichl, Walter (1981): Laala, Grammatik, Vokabeln, Texte. Wien

verfasst von: Lena Hanusch

letzte Änderung: 11.02.2010

zu zitieren nach:

Hanusch, Lena (2010): Walter Pichl. Verfügbar unter

http://www.afrikanistik.at/pdf/personen/pichl_walter.pdf (Zugriff Datum, Seite)

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